oturn home > Gespaltener Christlicher Glaube > I. Die psychoanalytische Religionskritik > 2. Die biblische Geschichte vom Paradies

Weiter zu Teil I.3 Der Mord Kains

Zurück zu Teil I.1 Die Theorie Sigmund Freuds

Zum Index von Teil I. Die psychoanalytische Religionskritik

Zum Hauptindex


I.2. Die biblische Geschichte vom Paradies

Zunächst scheint es so, als ob zwischen den biblischen Berichten über die Urmenschheit und der Hypothese Freuds keine Berührungspunkte aufgezeigt werden können. Sowohl die Priesterschrift (1. Mose 1) wie auch der Jahwist (1. Mose 2) berichten einmütig von einer Frühzeit des Menschen, in der er in vollkommener Harmonie mit dem Schöpfer friedlich auf dieser Erde leben konnte. Die Existenz des Menschen ist noch nicht von der Schuld gezeichnet, und daher darf der Mensch noch - so meint Gerhard von Rad - "in dem Wonnegarten und in der Nähe Gottes" leben [5].

In einem Punkte allerdings unterscheiden sich die beiden Berichte der Bibel auffallend. Während die Priesterschrift keinen Zweifel darüber lässt, dass die Geschlechtsbezogenheit von Mann und Frau der göttlichen Schöpfungsordnung entspricht, äußert sich der Jahwist über diese Bestimmung des Menschen sehr zurückhaltend.

Nach jahwistischer Darstellung bleibt der Mann zunächst allein, völlig isoliert ist er in seinem personalen Umgang einzig auf den Schöpfer angewiesen, der sich von ihm auch in räumlicher Beziehung noch nicht distanziert hat. Nur um seine Einsamkeit erträglich zu machen, wird ihm das Weib als eine Gehilfin beigegeben (1. Mose 2, 21ff.). Sehr dunkel ist der Hinweis, dass der Mann Vater und Mutter verlassen wird, um an seinem Weibe zu hangen (1. Mose 2, 24). Von Rad bemerkt zu dieser Stelle, dass eine Verbindung des Mannes mit der Familie der Frau, wie sie hier offenbar angedeutet wird, nicht ganz mit den patriarchalischen Familienverhältnissen in Altisrael im Einklang steht und vielleicht auf eine mutterrechtliche Kultur in der Frühzeit schließen lässt [6]. Diese Stelle könnte daher auch schon an das Totemgesetz der Exogamie mit der mutterrechtlichen Vererbung des Totem erinnern.

Anscheinend hat also der Mensch nach dem Bericht des Jahwisten ein geschlechtsbezogenes Leben während seines paradiesischen Daseins nicht gekannt. Jedoch unmittelbar nach der Vertreibung aus dem Paradies erwähnt der Jahwist so nebenbei, dass der Mensch sein Weib erkannt und den Kain gezeugt habe (1. Mose 4, 1).

Fragt man nun, warum eigentlich der Mensch im Paradies in seinem geschlechtlichen Leben wie gelähmt erscheint, dann braucht man sich nur an die klassische theologische Lösung diese Frage zu halten, um der Wahrheit nahe zu kommen. Danach war es der Ungehorsam gegen Gottes Gebot, der ihn nunmehr eigensüchtigem Begehren auslieferte und so auch die triebhafte Begierde geschlechtlicher Lust in ihm auslöste.

So erklärt z. B. Hellmuth Frey im Blick auf 1. Mose 3, 7b : ,,Sie sehen dieses Heiligtum'' (sc. des Geschlechtes) "entkleidet des Mantels der Reinheit, den es hatte, als es noch von Gott verwaltet wurde, und sie schämen sich voreinander und suchen Bedeckung" [7].

Von hier aus bedarf es eigentlich nur noch eines kleinen Schrittes, um den Inhalt des Verbotes genauer zu bestimmen. Das so seltsam unbestimmt als eine Verweigerung der Erkenntnis von Gut und Böse umschrieben wird. Der Text selber legt uns die Lösung durch seine Wortwahl sehr nahe. Es hat schon seine Bedeutung, wenn in dem Bericht derselbe Wortstamm einmal in Bezug auf den Baum der Erkenntnis (1. Mose 2, 9), dann aber auch auf das Erkennen in geschlechtlicher Beziehung verwandt wird (1. Mose 4, 1).

Der geschlechtliche Umgang mit einem Weibe war es also, den der Vater der Urmenschheit seinen Söhnen unter Androhung des Todes verwehrte (1. Mose 2, 17). Es war also nicht der Ungehorsam gegen das göttliche Verbot, der den Geschlechtstrieb in sündhafter Lust aufweckte; diese fadenscheinige Verlegenheitslösung kann in der Umkehrung von Ursache und Wirkung eine bessere Erklärung finden: Das väterliche Verbot hat nun nicht mehr die Macht, das Geschlechtsleben der Söhne zu unterdrücken. Der "Baum der Erkenntnis" kann mit einiger Sicherheit als ein Symbol für das Weib gedeutet werden. Die Bibel selbst legt uns diese Deutung nahe, wenn im Hohenlied das Weib mit einem früchtetragenden Baum verglichen wird: "Dein Wuchs gleicht einer Palme Deine Brüste den Datteltrauben. Ich sagte : Ersteigen will ich die Palme, ihre Fruchtrispen ergreifen; dann sollen deine Brüste mir sein wie Trauben am Weinstock und dein Atem süß, wie Duft von Äpfeln" (Hoheslied 7, 8-9).

Wir sehen, die psychoanalytische Deutung des biblischen Berichtes vom Paradies kann einen Einblick in die Bedrängnisse und Schwierigkeiten vermitteln, mit denen der primitive Mensch am Anfang seines Menschseins zu kämpfen und die er zu überwinden hatte, bevor er ein von der Tierwelt abgehobenes Leben in einem rechtlich und sozial geordneten Verband führen konnte.

In der Urhorde herrschte weder Recht noch Sitte im spezifisch menschlichen Sinn, sondern es galt das Gesetz des Vaters allein, der eine Gefährdung seiner Alleinherrschaft in der Regel brutal zu verhindern wusste. Der so anmutig klingende Bericht von der Erschaffung des Weibes (1. Mose 2, 21ff.) kann sehr wohl als eine hintergründige Überlieferung aufgefasst werden, in der eine dem menschlichen Empfinden schwer erträgliche Menschheitserinnerung verhüllt aufbewahrt worden ist.

Es gibt keinen Mythus unter den Völkern, in dem von einer Erschaffung des Weibes aus einer Rippe des Mannes berichtet wird. Wenn nun nach dem Mythus dem Manne eine Rippe entfernt wurde, war dieser Glaube vermutlich mit der Vorstellung verbunden, dass eine solche Rippe nur dem Unterleib entnommen sein könne, der ja keine Rippe mehr aufweist.

Von Rad ist dem eigentlichen Sinngehalt des Mythus schon auf der Spur, wenn er in der Erläuterung der Verse 1. Mose 21-23 folgende Vermutung äußert: "Es mag sein, dass mit dem Hinweis auf die untere Leibesgegend auch der besondere Gedanke an die Geschlechtsgemeinschaft von Mann und Weib verbunden war" [8].

Wenn nun Jahwe den Menschen in einen Tiefschlaf versetzt und ihm in seiner Ohnmacht gewaltsam eine Rippe herausschneidet, dann wird nicht recht deutlich, inwiefern dieses Bild ein Hinweis auf die gottgewollte Geschlechtsgemeinschaft von Mann und Weib sein soll. Dagegen lässt sich die Vermutung nicht ohne weiteres abweisen, dass hier eine Kastration angedeutet wird, die eine Geschlechtsgemeinschaft gerade verhindern sollte.

Es ist ja bekannt, dass der Mächtige im Orient bis in die jüngste Zeit hinein, in dieser Weise mit Menschen, die ihm ausgeliefert sind, verfahren konnte, insbesondere, wenn er seine sexuellen Vorrechte bedroht sah. Die Gefahr eines sexuellen Obergriffes von seiten der Söhne wurde in der primitiven Gesellschaft mit Recht gefürchtet. Es ist daher durchaus möglich, dass in dem Bilde von der Erschaffung des Weibes der archaische Vater sichtbar wird, der den Sohn niederschlägt, um ihn in seiner Ohnmacht kastrieren zu können.

Im Buch Exodus findet sich eine Stelle, die beinahe unverhüllt von der drohenden Gefahr der Kastration durch den Hordenvater zu berichten weiß. Gemeint ist der Bericht vom Überfall Jahwes auf Moses, der sich mit seiner Frau Zipora und einem seiner Söhne auf dem Wege nach Ägypten befindet und in einer Herberge übernachtet (2. Mose 4, 24f.).

Sämtliche Erklärungsversuche, die in rationalisierender Weise die Mordabsicht Jahwes etwa als ein Bild für das verzweifelte Gewissen des Mose hinstellen möchten, sind unzureichend. Es handelt sich hier zweifellos um eine archaische Erinnerung, die nur aus der Situation des Menschen aus dieser Zeit zu erklären ist. Moses befindet sich in einer ähnlichen Lage, wie der Mensch, dem Jahwe im Tiefschlaf eine Rippe entfernt. Auch hier wird ein Mensch in der Wehrlosigkeit des Schlafes überfallen und soll getötet werden, weil er durch den Besitz einer Frau die sexuellen Rechte Jahwes angetastet hat. Zipora aber rettet ihren Mann, indem sie durch Beschneidung ihren Sohn symbolisch kastriert und auf diese Weise den Zorn Jahwes besänftigt.

Die einzige Verhüllung, durch die dieser Bericht menschlichem Empfinden etwas erträglicher gemacht werden sollte, besteht darin, dass die Kastration, die ja eigentlich an Moses hätte vollzogen werden müssen, in symbolischer Handlung auf den Sohn verschoben wird.

Interessanterweise gibt diese kurze Geschichte zu erkennen, dass nicht nur der Mann, sondern auch das Weib unter der tyrannischen Macht des Hordenvaters gelitten hat. Zipora unterwirft sich zwar als Sexualobjekt dem Jahwe mit den Worten: "Du bist mir ein Blutbräutigam", gibt aber auch mit dieser Worten ihrem Zorn, vielleicht sogar ihrer Verachtung Ausdruck, und lässt so auf die Gebärde schließen, mit der sie Jahwe die Vorhaut ihres Sohnes vor die Füße geworfen haben mag.

Wir sehen also, der idyllische Friede trügt, der über der biblischen Frühgeschichte zu liegen scheint. Schon seit langem weiß man, dass in dem Bericht des Jahwisten uraltes Quellenmaterial künstlich in einen chronologisch geordneten Zusammenhang hineingestellt worden ist.

Es spricht doch wohl einiges dafür, dass sich in dieser Erzählungen in Wirklichkeit das Schicksal des Menschen an der Schwelle seiner Menschwerdung widespiegelt, so wie es schon von den Erforschern des Totemismus im 19. Jahrhundert bruchstückhaft erkannt wurde.

Folgt man nun dieser Annahme, dann ordnet sich der archaische Erinnerungsstoff gleichsam von selbst. In der Geschichte vom Garten Eden' in dem Jahwe unumschränkt, gewalttätig und grausam regiert, hat sich die Erinnerung an die Hordenzeit des Urmenschen niedergeschlagen (1. Mose 2, 7-25). In der Geschichte vom Sündenfall (1. Mose 3) ist schon ein neues Blatt in der Geschichte der Menschheit aufgeschlagen. Das Hordengesetz ist zumindest kraftlos geworden. Der Mensch hat seine sexuellen Ansprüche dem Vater gegenüber durchgesetzt, und der Vater, dessen unmittelbare Nähe noch vorausgesetzt wird (1. Mose 3, 8), hat nicht mehr die Macht, die angedrohte Todesstrafe am Sohn zu vollstrecken (1. Mose 2, 17). Seine Strafgewalt hat sich merklich gewandelt. Der Zorn Jahwes trifft nicht mehr den einzelnen, sondern wirkt sich auch auf die kommenden Generationen aus.

So muss nun das weibliche Geschlecht für die Urschuld des Weibes büßen, indem nunmehr alle Frauen in ihrem geschlechtlichen Leben schmerzlichen und demütigenden Belastungen ausgesetzt werden (1. Mose 3, 16).

Die knappe Bemerkung, der Mann solle Vater und Mutter verlassen, um an seinen Weibe zu hangen (1. Mose 2, 24), lässt auf eine Zeit schließen, in der sich schon neue Gemeinschaftsformen herausgebildet hatten. Durch Exogamie auf mutterrechtlicher Basis war dem Inzestverlangen des Menschen ein wirksamer Riegel geschaffen borden.

Die Befreiung des Menschen aus der rechtlosen Existenz des Hordendaseins war das revolutionäre Ereignis in der Geschichte der Menschheit. Der Hordenvater wurde entmachtet, und das konnte nach der Theorie Freuds nur durch seine Ermordung geschehen sein.

Bei dieser Behauptung aber war er auf eine Hypothese angewiesen, die auf einer psychoanalytischen Deutung des Totemismus beruht. Ein direkter Nachweis war anscheinend unmöglich, da der Totemismus zwar über einen Kult, nicht aber über eine Literatur verfügt, die über die Art der Entstehung des Kultes irgend etwas hätte aussagen können.

Das Alte Testament bestätigt seinen Rang als Dokument der Menschheitsgeschichte durch einen verhüllten, aber eindeutigen Bericht über das Ereignis, das dem Menschen die Möglichkeit gab, in größerer Freiheit neue Formen menschlichen Zusammenlebens zu entwickeln.

5 G. v. Rad, Theologie des AT, München 1966, Bd. 1, S. 169.

6 AT - Deutsch|, Bd. 2, Göttingen 1949, S. 68.

7 H. Free, Das Buch der Anfänge, Stuttgart 1950, S. 47.

8 AT - Deutsch, Bd. 2, S. 67/68.


Weiter zu Teil I.3 Der Mord Kains

Zurück zu Teil I.1 Die Theorie Sigmund Freuds

Zum Index von Teil I. Die psychoanalytische Religionskritik

Zum Hauptindex

Last update: 31 Mai 2009 | Impressum—Imprint