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I.4. Das Passahmahl

In der theologischen Forschung ist man seit langem der Ansicht, dass der Ursprung des Passahfestes nicht mit dem Auszug Israels aus Ägypten in Verbindung gebracht werden kann. Der Sinn dieses Festes aber bleibt dunkel, man ist auf Vermutungen angewiesen. So führt z. B. Sellin das Passahfest auf ein vorpalästinensisches Hirtenfest zurück, das vermutlich irgendeinem Nachtdämon oder dem Mondgott gewidmet war und später zu einem Erinnerungsfest an die glücklich gelungene Flucht aus Ägypten bei Nacht umgestaltet wurde [13]. Auch von Rad weiß diesen spärlichen Erklärungen nichts Wesentliches hinzuzufügen. Er meint, dass jeder Versuch einer Rekonstruktion der vormosaischen Passahbegehung hypothetisch bleiben muss [14]. Eine eigene Hypothese stellt er nicht auf. Das wichtigste Fest der Israeliten ist also der Theologie bisher ein unlösbares Rätsel geblieben.

Nun ließe sich dieses Rätsel der unheimlich anmutenden Passahzeremonie überraschend einfach und vollständig lösen, wenn man in ihr die Totemfeier der primitiven Gesellschaft wiedererkennen würde.

Keins der uns bekannten Totemfeste lässt so klar durchblicken, dass in dieser nächtlichen Feier die Wiederholung des Urverbrechens stattfindet.

In dieser Nacht wird die Erinnerung an den einmaligen und so folgenschweren Triumph über Jahwe neu belebt.

Ein ausgewachsener einjähriger Widder oder Ziegenbock (2. Mose 12, 5) tritt an die Stelle des Urvaters und nachmaligen Gottes, um nun unter Zeremonien geopfert zu werden, die ein lebendiges Bild von der Urszene vermitteln. Der Verschwörungscharakter der Handlung kommt noch deutlich zum Ausdruck.

Die Festgenossen kommen an einer Kultstätte zusammen, um während der Nacht in einer geschlossenen Gemeinschaft das Opfer zu vollziehen. Am nächsten Morgen aber soll man die Kultstätte sofort wieder verlassen und sich auf den Heimweg machen (5. Mose 16, 7). Nur der beschnittene Knecht, der dem Familienverband zugerechnet wurde, darf am Mahle teilnehmen, der Fremdling aber bleibt ausgeschlossen (2. Mose 12, 43). Deutlich spiegeln die Zeremonien Anzeichen der Furcht und Unsicherheit wider. Dem Opfer darf kein Knochen zerbrochen werden (2. Mose 12, 46b), es darf nichts aus dem Hause getragen werden (2. Mose 12, 46), und sofern etwas von der Mahlzeit übrigbleibt, muss es sofort mit Feuer verbrannt werden (2. Mose 12, 10). Es dürfen also keine Spuren zurückbleiben, an denen man etwa am nächsten Morgen erkennen könnte, was in der Nacht geschah. Das Opfer aber muss in großer Hast unter ständiger Fluchtbereitschaft verzehrt werden (2. Mose 12, 11).

Solange man das Passahfest noch auf den Auszug aus Ägypten zurückführte, ließ sich der Stab, den jeder in den Händen zu halten hatte, noch einigermaßen glaubhaft als ein Hinweis auf die bevorstehende Wanderung erklären. In Wahrheit aber wird es sich kaum um einen Wanderstab, sondern um einen handfesten Stock gehandelt haben, den man griffbereit in der Hand hielt, um sich bei einem Überfall sofort zur Wehr setzen zu können. Hinter einer Kulthandlung, die so deutlich von einer an Panik grenzenden Angst geprägt worden war, wird man wohl ein dieser Angst entsprechendes Ursprungserlebnis zu suchen haben.

Versucht man nun, von diesen noch im Kult nachwirkenden Angstsymptomen Rückschlusse auf die seelische Verfassung der Vatermörder zu ziehen, dann bleibt unverständlich, warum sich eigentlich die Täter nach gelungener Tat noch so furchtsam benommen haben sollen. Man sollte doch eher erwarten, dass nun Gefühle der Erleichterung und Siegesfreude zum Ausdruck kommen müssten. Die Zeichen des Kultes aber deuten nicht nur auf Angst, sondern auch auf eine Art reuevolle Trauer bin, wenn das Mahl mit bitteren Kräutern eingenommen werden musste (2. Mose 12, 8b).

Diese merkwürdige Reaktion lässt sich nur von den animistischen Anschauungen des primitives Menschen her verstehen, dem nun von dem Körper des Ermordeten erhöhte Gefahren drohten. Denn nach animistischer Vorstellung ist der Leib mit Seelenkräften begabt, die auch aus dem toten Leibe heraus zur Wirkung kommen können.

Es besteht wohl kein Zweifel, welcher möglichen Auswirkung man sich nach der Mordtat ausgesetzt sehen konnte. Der Primitivmensch musste befürchten, dass die im Leibe des Vaters noch vorhandenen Seelenkräfte sich rächend gegen die Mörder erheben würden. Er konnte dieser Gefahr nur begegnen, indem er sich in kannibalischer Weise den Getöteten einverleibte. Die bel dem Mahle übriggebliebenen oder nicht essbaren Körperteile mussten verbrannt werden, damit der Geist des Vaters jeglicher Materie beraubt wurde und daher nicht mehr die Möglichkeit hatte, sich zu rächen.

Mit der Einverleibung des Vaters aber gingen die geneideten und zugleich gefürchteten väterlichen Kräfte in den Besitz der Söhne über. Es liege nahe, dass dieser Bemächtigungsvorgang eine Identifizierung mit dem Vater nach sich zog, so dass sein Schicksal nun auch als das eigene Schicksal empfunden wurde. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass dem Triumph über den Vater von vornherein ein Gefühl der Trauer beigemischt war, das später dazu beigetragen haben mag, aus rebellischen wieder gehorsame Söhne zu machen.

Allerdings war man keineswegs bereit, auf die Früchte des errungenen Sieges zu verzichten. Im Gegenteil, man war eifrig darauf bedacht, durch Wiederholung des Opfers im Passahmahl sich immer erneut der Kräfte des Vaters zu vergewissern. Jahwe kann es nun nicht mehr verhindern, dass der Mensch sich in der Gestalt des Totemopfers göttliche Kräfte anzueignen sucht, um sein Verlangen zu befriedigen, so zu sein, wie Gott.

Wenn in späterer Zeit die Feier des Passahmahles auf einen Befehl Jahwes zurückgeführt wurde, dann geschah das nach demselben psychischen Gesetz, nach dem der Vatermörder Kain durch Gesetz und Zeichen des zum Gotte gewordenen Vaters vor einer Bestrafung geschützt wurde. Es ist schon möglich, dass das rätselhafte Zeichen, mit dem Jahwe den Kain versieht, ein Totemzeichen war, eine sichtbare Legalisierung des Urverbrechens durch den Ermordeten (1. Mose 4, 15b).

Es ist nicht ohne Reiz, festzustellen, wie sinnvoll aber gleichzeitig mit der offensichtlichen Absicht der Verhüllung das Passahmahl mit der Geschichte vom Auszug Israels aus Agypten verbunden wurde. Passah heißt übersetzt "schonendes Vorübergehen". Es besteht kein Zweifel, dass Jahwe, der in der Gestalt eines Würgeengels (2. Mose 12, 32) an den Häusern der Ägypter die männliche Erstgeburt tötet, nur durch das Blut des Passahopfers an den Türpfosten der israelitischen Häuser davon abgehalten ward, auch dort mordend einzubrechen (2. Mose 12, 13). Denn wo das Passahopfer geschlachtet worden war, hatte man sich seiner bemächtigt. Es war sein Blut, das ihn zwang, an diesen Häusern vorbeizugehen.

Gleichzeitig aber kann die Verbindung der Passahfeier mit der Geschichte vom Auszug aus Ägypten eine Anspielung auf die Situation in der Urzeit enthalten. Israel muss eine ähnliche Knechtschaft wie der urzeitliche Hordenmensch erdulden. Sogar das Bestreben des Hordenvaters, die männliche Kraft seiner Söhne, soweit sie ihm gefährlich erscheinen, auszumerzen, findet seine Parallele in dem Befehl Pharaos, sämtliche israelitischen Knaben nach ihrer Geburt zu töten (2. Mose 1, 15f).

Durch die Wiederholung des Urverbrechens gelingt ihnen die Befreiung aus der Knechtschaft. Sie selbst können die gebändigte Kraft ihres Gottes in ihren Dienst stellen, während die Ägypter, die einer solchen Bemächtigung des Gottes nicht fähig sind, seinem tödlichen Machtwillen ohnmächtig ausgeliefert werden.

Für das religiöse Bewusstsein des Israeliten wurden diese Zusammenhänge überdeckt, indem man die Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft in der Verknüpfung mit der Passahfeier als eine gnädige Errettung eines erbarmenden Gottes hinstellte.

Es ist anzunehmen, dass in der Liturgie des Jüdischen Gottesdienstes bis auf den heutigen Tag das Totemtier als eine Verkörperung Jahwes in Erscheinung treten kann. Im Alten Testament finden sich genaue Anweisungen über Pflichten und Rechte der Priester. Danach haben die Priester und ihre Söhne als priesterliche Gehilfen das alleinige Vorrecht, von den in der Stiftshütte dargebrachten Opfern zu essen (4. Mose 18, 6ff).

Karl Abraham hat darauf hingewiesen, dass diese Identifizierung des Priesters mit dem Totem sich auch noch in Spuren in der Liturgie des jüdischen Gottesdienstes erhalten hat. Die Zeremonie des Priestersegens ist heute noch in vielen jüdischen Kultgemeinden an Vorschriften eigentümlicher Art gebunden.

Die Priester hüllen sich in einen Gebetsmantel aus weißer Schafwolle ein, auch der Kopf wird von dem Mantel bedeckt. So den Blicken der Gemeinde entzogen, heben sie die Arme zum Segen, und zwar in einer durch den Ritus festgelegten Handhaltung. Der vierte und fünfte Finger müssen gemeinsam von den zwei anderen Fingern abgespreizt und während des Segens in dieser gezwungenen Haltung belassen werden. Abraham erwähnt, dass auf dem Grabstein eines jeden verstorbenen Priesters zwei Hände in dieser charakteristischen Haltung abgebildet werden, obwohl das Judentum sonst jede bildliche Darstellung auf religiösem Gebiet vermeidet.

Der Sinn dieser eigenartigen Zeremonie des Segens wird von Abraham einfach und einleuchtend gedeutet: Der Priester verhüllt sich symbolisch in das Fell eines Widders und lässt dabei durch die Handhaltung den gespaltenen Huf des Tieres sichtbar werden, hinter dem sich Jahwe verbirgt [15].

13 Sellin, Israelit.-jüd. Rel.-Gesch., Leipzig 1933, S. 28.

14 G. v. Rad, Theologie des AT, Bd. 1, S. 29.

15 Karl Abraham, Der Versöhnungstag, Imago 1920, 6. Bd., S. 87/88.


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Last update: 31 Mai 2009 | Impressum—Imprint