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III.7. Der religiöse Masochismus

Der Nachweis einer dominierend masochistischen Tendenz im Charakterbild des Paulus ist zwar wegen des zu erwartenden Widerstandes beim Leser ärger­lich, aber nicht zu umgehen, wenn man Paulus verstehen will.

In einem Punkt unterscheidet sich Paulus in seinem Verhalten wesentlich von dem eines Masochisten. Der Masochist sucht auf dem Umweg über ein Leid die sexuell bedingte Lust, bei der die sexuelle Komponente nicht in Erscheinung zu treten braucht. Paulus aber hat sie geflohen. Die These von einer masochisti­schen Einstellung des Paulus wäre hinfällig, wenn sich nicht nachweisen ließe, dass er über das Leiden eine Lust anstrebte, die auf einer anderen, höheren Ebene Merkmale des ursprünglich sexuellen Luststrebens erkennen lässt.

Die Tendenz sexueller Lust in dem Streben nach der Vereinigung zweier Per­sonen lässt sich auch bei Paulus in abgewandelter Form feststellen, indem er durch das Leiden eine innige Vereinigung mit Christus anstrebte. Die Sehnsucht nach einer engen und unlösbaren Gemeinschaft bringt er den Philippern gegen­über zum Ausdruck:

"Denn ich möchte ihn kennenlernen, und zwar die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, indem ich ihm in seinem Tode gleichgestal­tet werde" (Philipper 3, 10).

Er war von einem fanatischen Leidenswillen erfüllt und versucht, diesen Willen auch auf seine Anhänger zu übertragen. So nennt er die Philipper begnadete Leute, da sie nicht nur an Christus glauben, sondern auch um seinetwillen lei­den dürfen (Philipper I, 29). Denn nur der für Christus und mit Christus Lei­dende wird einmal an seiner Herrlichkeit teilnehmen (Römer 8, 17).

Nur in ständigem Leiden kann der Christ mit seinem Herrn verbunden sein. Die Fülle der Leiden garantiert gleichsam die Verbundenheit mit Christus, die sich dann im Sterben mit ihm und in der Auferstehung vollenden wird. So, wie er früher in fanatischem Eifer das Gesetz zu erfüllen suchte, strebt er nun nach Vollkommenheit, indem er eine Fülle von Leiden auf sich zieht. Nur weil er über die Maßen viel leidet, weiß er sich seinem Herrn auch näher, als es die Apostel von sich behaupten können. Ja, er glaubt sogar, dass er als Träger des Todesleidens Christi auch das Leben Jesu an seinem Leibe sichtbar machen kann, so dass es nun als übertragbare Kraft der Gemeinde zugute kommt (2. Korinther 4, 10). Die Galater warnt er, ihm in irgendeiner Weise weiterhin Schwierigkei­ten zu machen, da er die Malzeichen des Herrn an seinem Leibe trüge (Galater 6, 17). Um des Kreuzes Christi willen leidet er Verfolgung und unterstellt sei­nen Gegnern, dass sie nur aus Angst vor dem Kreuzesleiden an der gesetzlichen Beschneidung festhalten (Galater 6, 12).

Ein typisches Merkmal masochistischer Einstellung kann in einer gewissen de­monstrativen Haltung gesehen werden, in der zwangsmäßig die eigene Per­son in den Mittelpunkt gerückt wird, um Beachtung und Anerkennung zu er­zwingen. Der Kampf um seine Anerkennung innerhalb der Gemeinde in Korinth ist im Vorhergehenden schon behandelt worden (siehe Seite 48ff.). Verschiedentlich fordert er die Gemeinde auf, man möge sich ihn zum Vorbild nehmen. So beschwört er die Galater:

"Seid doch, wie ich bin, denn auch ich möchte gern so sein, wie ihr" (Galater 4, 12. Siehe auch 1. Korinther 4,16; 1. Korinther 7, 7 und 11, 1; Philipper 3, 17).

Der Leidenswille des Paulus wie auch seine Selbstempfehlung haben den Cha­rakter eines Zwanges. Er selbst war sich dessen zum wenigsten zeitweise be­wusst:

"Wenn ich die Heilsbotschaft verkündige, so darf ich mich dessen nicht rühmen; denn ich stehe unter einem Zwang. Ein Wehe träfe mich, wenn ich die Heils­botschaft nicht verkündigte" (1. Kor. 9, 16).

Da die Verkündigung der Botschaft seiner Ansicht nach nur unter ständigem Leiden erfolgen konnte, kann man wohl mit Recht aus dieser Äußerung auf einen primären Leidenszwang schließen. Der nachfolgende Versuch, diesen Zwang als einen Vorzug und Ruhm hinzustellen, ist dunkel und verworren, ein missglückter Versuch, dem Zwanghaften seiner Existenz noch ein Stück Frei­heit abzugewinnen:

"Denn nur, wenn ich das" (nämlich die Heilsbotschaft zu verkündigen) "aus freiem Entschluss tue, habe ich Anspruch auf Lohn" (durch Opfergaben der Ge­meinde); "wenn ich es aber unfreiwillig tue, so ist es nur ein Haushalteramt, mit dem ich betraut bin. Worin besteht demnach mein Lohn? Darin, dass ich als Verkündiger der Heilsbotschaft diese unentgeltlich darbiete, um von meinem Recht bei der Verkündigung der Heilsbotschaft keinen Gebrauch zu machen" (1. Korinther 9, 17 f.).

Ein untrügliches Kennzeichen masochistischen Leidenswillens bei Paulus kann darin gesehen werden, dass er die zu erwartende Lust schon in das gegenwärtige Erleiden einbeziehen und so gleichsam vorwegnehmen kann: " Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger, Mangel an Kleidung, Gefahr oder Henkerbeil? - Wie geschrieben steht: ,Um deinetwillen werden wir den ganzen Tag hingemordet; wir sind geachtet wie Schlachtschafe' (Psalm 44, 23). Nein, in allen diesen Leiden siegen wir glän­zend durch den, der uns geliebt hat" (Römer 8, 35 ff.).

Der Leidenswille des Paulus findet in den Evangelien keine Entsprechung. Nach den Berichten der Evangelien hat Jesus niemals dazu aufgefordert, das Leid zu suchen. Es wird nicht verschwiegen, dass er Angst vor dem Tode hatte und darum bat, er möge vom Leiden verschont bleiben (Matthäus 26, 36 ff.; Markus 14, 32,ff.; Lukas 22, 39 ff.). Nur die Einsicht, dass sein Sterben allein die Wahrheit seines Wortes bestätigen kann, macht ihn bereit, das Todesleiden auf sich zu nehmen. Nach dem Zeugnis der Evangelien ist das Leiden nicht die Be­dingung, die allein ein Verbundensein mit Christus ermöglicht.

Aus christlicher Leidensbereitschaft wird nun bei Paulus ein Leidenszwang. Ein mit seinem Triebleben zerfallener Mensch sah sich genötigt, durch ständiges Leiden seiner inneren Spannung Herr zu werden. Offensichtlich stand ihm nur dieser Weg offen, der in der Art, wie er ihn gegangen ist, von menschlicher Größe zeugt.


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Last update: 31 Mai 2009 | Impressum—Imprint