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III.8. Der Pfahl im Fleisch

Der vorhergehende Versuch, den Charakter des Paulus zu deuten, kann ein Schlüssel zum Verständnis seiner Krankheit sein. Von dieser Krankheit hat er einmal im 2. Korinther-Brief dunkel und andeutungsweise gesprochen. Nach­dem er auf seine Verdienste, Leiden und Offenbarungen, deren er als Apostel gewürdigt worden ist, hingewiesen hat, sagt er abschließend:

"Wenn ich mich nämlich rühmen wollte, würde ich deshalb kein Tor sein, denn ich würde die Wahrheit sagen...; und auch wegen der außerordentlichen Größe der Offenbarungen.

Darum ist mir auch, damit ich mich nicht überhebe, ein Pfahl ins Fleisch gege­ben worden, ein Satansengel, der mich mit Fäusten schlagen muss, damit ich mich nicht überhebe. Dreimal habe ich um seinetwillen den Herrn angerufen, dass er von mir weichen möchte; doch er hat zu mir gesagt: 'Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft gelangt in der Schwachheit zur vollen Aus­wirkung' (2. Korinther 12, 6 ff.)."

Auffallend ist die ursprünglich negative Einstellung des Paulus zu dieser Krank­heit. Könnte man hinter diesem Leiden eine Krankheit vermuten, die ihn in seiner Arbeitskraft beeinträchtigt und daher in seiner Tätigkeit behindert habe, so ließe sich seine abwehrende Haltung einem Leiden gegenüber schon ver­stehen.

Von einer Behinderung aber hören wir nichts, wohl aber von einer Demütigung, durch die Gott ihn vor Überheblichkeit bewahren möchte. Wie aber konnte Paulus, der seine christliche Existenz auf das Leiden gründete, sich überhaupt durch ein Leid gedemütigt fühlen? Aus dem Galaterbrief wissen wir, dass er sich sogar einer, vermutlich ekelerregenden Krankheit nicht zu schämen brauchte. Trotz dieser Krankheit haben ihn damals die Galater "wie einen Engel aufgenommen" (Galater 4, 14).

Gedemütigt konnte sich Paulus, seiner Einstellung zum Leid entsprechend, nur dann fühlen, wenn sich das Leid nicht mit dem Leiden in Christus vereinbaren ließ. Da ihm alles Leid Gewinn, Kraftzuwachs, im Grunde also Lustgewinn be­deutete, musste im gleichen Umkehrungsverhältnis die Lust als demütigendes Leid von ihm empfunden werden.

Wir können vermuten, dass hinter der Krankheit des Paulus leidvolle homo­sexuelle Anfechtungen standen. Auch der "Pfahl", welcher der Tiefenpsycho­logie als ein häufig verwendetes Phallussymbol bekannt ist, deutet in diese Richtung. Wir haben in dieser andeutungsweisen Beschreibung der Krankheit ein Beispiel für die Eigenart des neurotisch erkrankten Menschen, unter gleich­zeitiger Verhüllung einer exhibitionistischen Tendenz nachzugeben.

Paulus ist vermutlich stets seiner homosexuellen Anfechtungen Herr geblie­ben. Ein Versagen in diesem Kampf hätte für ihn das Ende seiner hochgespann­ten Erwartungen bedeutet, die eine Vereinigung mit Christus zum Ziele hatten. Für ihn stand es fest, dass Menschen, die in irgendeiner Weise unzüchtig gelebt hatten, vom Reiche Gottes ausgeschlossen sein würden (1. Korinther 6, 9 f.).

Daher warnt er auch eindringlich vor der Sünde der Unzucht:

"Jede Sünde, die ein Mensch begeht, bleibt außerhalb seines Leibes, wer aber Unzucht treibt, versündigt sich an seinem eigenen Leibe! Wißt ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes in euch ist, den ihr von Gott habt? Deshalb gehört ihr auch nicht mehr euch selbst. Ihr seid teuer erkauft, so ver­herrlicht Gott an eurem Leibe!" (1. Korinther 6, 18)

Oskar Pfister, dessen psychoanalytische Arbeit über den christlichen Glauben sich im ganzen etwas seltsam mit einer pietistisch ausgerichteten Theologie ver­bindet, hat sich in diesem Zusammenhang folgendermaßen über Paulus ge­äußert:

"Die Ehe lässt er (Paulus) nur als Ventil gegen Brunst und Hurerei gelten (1. Ko­rinther 7, 2 und 9). Er hält es für eine besondere Gnadengabe, dass er von dieser Gefahr frei ist, daher nicht zu heiraten braucht (V. 7 f.), denn es ist schöner und besser, ledig zu bleiben. Dies ist nicht etwa nur wegen der eschatologischen Drangsal der Fall (V. 32), sondern aus religiösen Gründen. ,Die Unverheiratete sorgt sich um die Dinge des Herrn - die Verheiratete dagegen sorgt sich um die Dinge der Welt, wie sie ihrem Mann gefallen möge' (V. 34), ein Schematismus, der mit den Tatsachen in keiner Weise übereinstimmt und sozialethisch als höchst gefährlich anzusehen ist. Nur die persönliche Abneigung gegen die Ehe konnte eine solche Ungeheuerlichkeit eingeben. Wir lassen es auf sich beruhen, wie sie mit der Hysterie des Paulus, seinem "Dorn im Fleisch" (2. Korinther 12, 7) zusammenhängt, wie weit sie durch den sexuellen Libertinismus seiner Zeit und asketischen Gegenströmungen beeinflusst ist." [30]

30 O. Pfister, Das Christentum und die Angst, Zürich 1944, S. 229.


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Last update: 31 Mai 2009 | Impressum—Imprint