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IV.3. Der Groll des Vaters

Als Luther im Jahre 1507 zum Priester geweiht werden sollte, konnte er schon mit sich und seinem Schicksal zufrieden sein. Seinem Fleiß und einer ernsten Lebensführung hatte er es zu verdanken, dass er in der verhältnismäßig kurzen Zeit von zwei Jahren vom Novizen zum Priester aufsteigen konnte. Seine künftige Laufbahn versprach das, was man heutzutage eine gute Karriere nennen würde.

Der äußere Erfolg der letzten zwei Jahre wird ihm sicherlich nicht gleichgültig gewesen sein. Denn er durfte einem Ereignis entgegensehen, das neben der Priesterweihe wohl das größte Gewicht für ihn gehabt hat. Der Vater, der bisher in kühler Zurückhaltung eine Geste der Versöhnungsbereitschaft vermieden hatte, war zur Primiz seines Sohnes eingeladen worden und hatte sein Kommen zugesagt. Martin konnte nun also berechtigte Hoffnung haben, dass die frostige Zurückhaltung des Vaters in der Atmosphäre allgemeiner Anerkennung des neugeweihten Priesters einer freundlichen Gesinnung dem Sohne gegenüber weichen würde.

Es lässt sich nicht feststellen, ob Luther sich des Triumphes bewusst war, der sich aus der zu erwartenden Situation nahezu zwangsläufig für ihn ergeben musste. Wenn der Vater an der Primiz des Sohnes teilnahm, hatte er sich als Sohn der Kirche der Macht einer heiligen Handlung zu beugen, die der leibliche Sohn in dem Opfer der Messe zum ersten Mal vollziehen durfte. Auf diese Weise wurden die Rollen vertauscht, und der Sohn konnte nun kraft seines Amtes dem eigenen Vater Gnade und Segen des Vaters aller Väter vermitteln.

Nach menschlichem Ermessen musste dieser Tag also für Luther eine glänzende Rechtfertigung seines Weges und die endgültige Versöhnung mit dem Vater erbringen.

Am Tage der Primiz wurden dann die hochgespannten Erwartungen Luthers schwer enttäuscht. Es sollte alles so ganz anders kommen, als wie er es sich vermutlich ausgemalt hatte. Der Vater scheint um die heimlichen Wünsche seines Sohnes gewusst zu haben und hat alles getan, um ihre Erfüllung zu verhindern. Schon die Vorbereitungen zur Fahrt nach Erfurt deuten darauf hin, dass er sich sehr wohl über die prekäre Situation im klaren war, in die er bei der Primiz seines Sohnes geraten konnte. Er war keineswegs gewillt, sich in die Rolle des versöhnungsbereiten und nachgiebigen Vaters drängen zu lassen, der den Ungehorsam seines Sohnes nachträglich gutheißen musste und dadurch seinen bisherigen Groll als Unrecht bekannte.

Sicher wusste er, dass seine Teilnahme an der Primiz so oder in ähnlicher Weise gedeutet werden konnte, und er musste sich auch darüber im klaren sein, einen wie schweren Stand er als ein einzelner Mann von mäßiger Bildung inmitten einer Gruppe hochgebildeter Würdenträger haben würde, so dass ihm schon allein aus der äußeren Situation heraus das Gefühl der Unterlegenheit und Demütigung nicht erspart bleiben konnte. Hans Luther aber war offensichtlich eine starke Persönlichkeit, und er verstand es, diese Gefahr von vornherein zu bannen. Er hatte es zu dieser Zeit schon zu einem beträchtlichen Wohlstand gebracht und beschloss nun, seine Mittel reichlich einzusetzen, um als angesehener Mann mit einem stattlichen Gefolge im Kloster zu Erfurt Einzug halten zu können. Auf seinen Wunsch war die Primiz auf den Sonntag Kantate, den 2. Mai, festgesetzt worden. K. A. Meissinger, der die Reise nach Erfurt auf Grund der Quellen sehr anschaulich beschrieben hat, vermutet sicher mit Recht, dass es Hans Luther nur zu dieser Zeit zwischen der Frühjahrsbestellung und dem Beginn der Heuernte möglich war, für sein zwanzig Mann starkes Gefolge die Bauernrösser zusammenzuleihen [56]. Nach den Aufzeichnungen Schlaginhaufens soll "Einer" angesichts dieser Vorbereitungen zu ihm gesagt haben: "Ihr müsst einen guten Freund zu besuchen haben, dass ihr ihm so stark kommt."[57]

Als er dann mit seinem ansehnlichen Aufgebot in das Erfurter Kloster Einzug gehalten hatte, schickte er, wie Schlaginhaufen weiter berichtet, zwanzig Gulden in die Klosterküche, eine Summe, die für das zu erwartende Festmahl nach der Primiz reichlich bemessen war und keinen Zweifel daran ließ, wer den Wirt bei dieser Veranstaltung machen würde.

Hans Luther hatte sich also sehr stark gemacht und konnte nun in Gelassenheit einer Begegnung entgegensehen, die den Triumph des priesterlichen Sohnes in eine fürchterliche und folgenschwere Niederlage verwandeln sollte.

Erst 14 Jahre danach, und zwar in dem schon erwähnten Brief an den Vater, war Luther imstande, der Auseinandersetzung mit dem Vater einen Sinn zu geben, der die Niederlage in einen späten Sieg des Sohnes verwandelte. Der Brief zeigt in der prägnanten Wiedergabe der Erlebnisse dieses Tages deutlich, wie sehr die Erinnerungen lebendig wirkende Kräfte im Leben Martin Luthers blieben. In diesen 14 Jahren aber vollzog sich eine innere Entwicklung, die ihn schließlich zum Kampf gegen die römische Kirche getrieben hat. Man wird daher dem erschütternden Ereignis des Jahres 1507 große Aufmerksamkeit zuwenden müssen, um diese Entwicklung, die zum umwälzenden Ereignis der Reformation führen sollte, richtig verstehen zu können.

Wie die folgenreiche Begegnung zwischen Vater und Sohn am 2. Mai des Jahres 1507 ablief, entnehmen wir dem Brief Luthers an seinen Vater vom 21. November 1521.

Nach der Primiz standen sich beide nach einer Trennung, die für Hans Luther so bitter und enttäuschend gewesen war, zum ersten Mal wieder gegenüber. Der Sohn atmete sicher erleichtert auf, als die Begrüßung einen guten Verlauf zu nehmen schien. Denn, so erinnert sich Luther, der Vater hat mit ihm gesprochen, so dass er an seinem Versöhnungswillen nicht mehr zu zweifeln brauchte. Aber gerade in diesem Augenblick, als sich scheinbar alles zum Guten wendet, verhält sich Martin merkwürdig ungeschickt. Anstatt nun alles daranzusetzen, das Gespräch in unverfänglichen Bahnen zu halten, steuert er geradenwegs den wunden Punkt an, der zu dem schweren Zerwürfnis führte. In seinem Brief beschreibt er diese Szene ausführlich: "Denn ich gedenke noch allzuwohl, da es wieder gut unter uns ward, und du mit mir redetest, und da ich dir sagte, dass ich mit schrecklicher Erscheinung vom Himmel gerufen wäre, - denn ich ward ja nicht gern und willig ein Mönch, viel weniger um Mästung oder des Bauches willen; sondern als ich mit Schrecken und Angst des Todes eilend umgeben, gelobte ich ein gezwungen und gedrungen Gelübde—." [58]

Warum diese etwas gequält klingende Erklärung? Wenn er so vor zwei Jahren zum Vater gesprochen hätte, wäre ihm eine harte Auseinandersetzung sicherlich nicht erspart geblieben. Aber was konnte ihm schon geschehen? Er unterstand ja in dieser Zeit nicht mehr der Gewalt des Vaters, und wenn er von dem Ernst eines wahrhaft göttlichen Rufes durchdrungen gewesen wäre, hätte er doch auch gegen den Willen des Vaters seiner Bestimmung folgen können. Einer Aussprache mit dem Vater aber war er damals ausgewichen, obwohl er erst vierzehn Tage nach dem schreckhaften Ereignis das Kloster betrat.

Nun aber, im Augenblick der langersehnten Versöhnung, kommt er dem Vater mit dieser Erklärung, als ob er etwas lange Versäumtes nachholen müsste, und fordert so den unverbrauchten Zorn des Vaters geradezu heraus. Ein merkwürdiges Verhalten, das nur dann sinnvoll erscheint, wenn man um die Fragwürdigkeit seines Gelübdes weiß. Außer ihm hat nur ein Mensch die Möglichkeit, die wahren Gründe zu durchschauen, die ihn Mönch werden ließen, und das ist der Vater. Es fehlt eben ein wichtiger Stein in dem soliden Gefüge seiner Frömmigkeit, ein Stein, den er eigentlich zu Anfang im Fundament hätte vermauern müssen, und das ist die Anerkennung des Vaters. Wenn ihm der Vater in dieser festlichen Stunde die Behauptung einer göttlichen Berufung abnahm, wie es ihm der Sohn in seiner Erklärung so dringlich nahelegte, dann hätte nur er allein noch die Risse und Sprünge im Gebäude seiner Frömmigkeit sehen können, falls ihm daran gelegen war. Aber auch ein Martin Luther besaß die allgemein menschliche Fähigkeit, sich selbst zu belügen, zumal, wenn die Lüge sich so brauchbar in den Dienst einer ernsthaften Frömmigkeit stellen ließ.

Hans Luther war weit davon entfernt, seinem Sohn in dieser Angelegenheit gefällig zu sein. In der festlichen Atmosphäre einer Primizfeier zu Ehren seines Sohnes hätte man eigentlich eine zum wenigsten zurückhaltende oder ausweichende Antwort erwarten können. Aber so langatmig und gewunden wie die Erklärung des Sohnes, so kurz und vernichtend war die Entgegnung des Vaters. Das erzwungene Gelübde lässt er offensichtlich gelten, es bleibt aber die Frage, wer das Gelübde erzwang. Diese Bedenken fasst er in dem Ausruf zusammen: "Gebe Gott, dass es nicht ein Betrug und teuflisch Gespenst war." [59]

Diese Worte mussten wie ein Hieb wirken, wie er schärfer und verletzender wohl nicht geführt werden konnte. Kalter Zorn verschafft sich in einem überlegten, brutalen Schlag Ausdruck. Denn mit seinem scheinbar besorgten Ausruf lässt er den Argwohn durchblicken, die soeben vollzogene Priesterweihe könne sehr wohl nur ein frommes Theater sein, sozusagen vom Teufel inszeniert. Keiner der Anwesenden konnte den Zusammenhang zwischen der Berufung und der soeben vollzogenen Priesterweihe übersehen. Was mit der Berufung begonnen, war nun durch die Weihe besiegelt worden. Hatte der Teufel berufen, nun, dann war und blieb Martin ein Frevler, der als ein Kind des Teufels göttliche Weihen missbraucht hatte.

Das Entsetzen Luthers über die Worte des Vaters war groß. Noch 14 Jahre danach weiß er sich genau der Wirkung dieser Worte zu erinnern, wenn er dem Vater in seinem Brief bekennt: "Das Wort, gleichsam als hätte es Gott durch deinen Mund geredet, durchdrang und senkte sich bald in Grund meiner Seele." [60]

Die Stimme des Vaters wird zu Gottes Mund, das bedeutet doch wohl nichts anderes, als dass Luther über das Wort des Vaters die vernichtende Wahrheit über sich selbst erfährt, die sich auf den Grund seiner Seele senkte, ihn also nie wieder verlassen wird.

Es ist verständlich, dass er sich mit ganzer Kraft gegen die Anerkennung dieser Wahrheit zur Wehr setzte, und auch das hat sich in seiner Erinnerung erhalten, wenn er fortfährt: "...ich aber verstopfet und versperret mein Herz, soviel ich konnt, wider dich und dein Wort."[61]

Aber in dieser Stunde kann sich Luther nicht auf Widerstand und Verteidigung beschränken. Er weiß sich in höchster Gefahr. Denn falls der Argwohn des Vaters die Wahrheit enthält, war er mit seinem vom Teufel gestifteten Priestertum ein auf ewig verlorener Mann.

Und so versucht er nun, sich im Angriff des Vaters zu erwehren, indem er ihm seinen Zorn vorhält. In seinem Zorn, so meint Martin, denke der Vater nur an Rache, an der Wahrheit sei ihm daher nichts gelegen.

Dieser Vorstoß war ein letzter, verzweifelter Versuch, sich dem Vater gegenüber zu behaupten. Der Vater aber übergeht in souveräner Gelassenheit diese Anwürfe. Sie scheinen ihn überhaupt nicht zu berühren. Er ist sich seiner Sache gewiss, und das letzte Wort hat er noch nicht gesprochen. Um sich ein rechtes Bild von der Schlussszene dieser Auseinandersetzung zu machen, lässt man am besten Luther selbst wieder zu Worte kommen:

"...da ich dir..., vorwarf deinen Zorn, bald trafest du und stießest mich wieder also eben und gleich zu, dass ich mein Leblang kaum von einem Menschen ein Wort gehört habe, das kräftiger mir eingegangen und behaftet. Denn diese waren deine Worte: ,Ei, hast du nicht auch gehört, dass man Eltern soll gehorsam sein?' Aber ich, verstockt in meiner Frömmigkeit, hörte und verachtete dich ganz als einen Menschen. Aber dennoch, von Herzen konnt ich das Wort nie verachten." [62]

An keiner Stelle der Auseinandersetzung wird die innerlich schwache Position Luthers so deutlich, wie gerade hier bei der letzten Frage des Vaters, auf die der Sohn kein Wort mehr erwidert hat. Und dabei hätten ihm biblische Worte Alten und Neuen Testamentes zur Verfügung gestanden, in denen Gott in der Gehorsamsfrage eine absolute Vorrangstellung eingeräumt wird. Luther hat diese Worte bestimmt gekannt, aber er schwieg, als ob ihn die Frage des Vaters erschlagen hätte. Jetzt hätte sich ihm die Gelegenheit geboten, den Vater mit Hilfe der Schrift als einen kleinen Despoten bloßzustellen, der seine Autorität offenbar höher als die Ehre Gottes achtete.

Offenbar war er keines Wortes mehr fähig, weil ihm die Wahrheit zu stark wurde. Der Vater hatte recht, sein Gelübde war "keiner Schlehen wert". Dieses Wissen aber senkte sich auf den Grund seiner Seele, und jeder Versuch, es dort in der Dunkelheit zu belassen, musste scheitern, da Luther zu den Menschen gehörte, deren Charakter eine Verdrängung dieser Art auf die Dauer nicht zulassen kann. Man könnte sagen, Luther war ein auch vor sich selbst durchaus ehrlicher Mann, was nicht als eine moralische Leistung missverstanden werden darf.

56 K. A. Meissinger, Der katholische Luther, München 1952, S. 38.

57 a.a.0., S. 38.

58 Weimarer Ausgabe (Abkürzung: WA) 49,322 (15).

59 EA 53, 87.

60 EA 53, ebd.

61 EA 53, ebd.

62 EA 53, ebd.


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Last update: 05 Juni 2009 | Impressum—Imprint