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Vorwort

Ich habe im Folgenden versucht, die Religionskritik Sigmund Freuds auf ihre Berechtigung hin zu befragen, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der kritischen Behauptungen, die den biblischen Glauben in seinem Wahrheitsgehalt einleuchtend in Frage zu stellen scheinen. Das Risiko ist dabei natürlich in Kauf zu nehmen, dass bisher feststehende Glaubenswahrheiten ins Wanken geraten können. Das wäre weiter kein Grund zur Beunruhigung, da ja die neuere kritische Theologie althergebrachte Glaubensansichten licht mehr so ohne weiteres übernahm, sondern sie neu deutete oder gar ablehnte. So flaute der Sturm der Entrüstung über die Entmythologisierung der Bibel sehr schnell ab, und heute wird wie selbstverständlich auf vielen Kanzeln im Sinne Bultmanns und seiner Nachfolger gepredigt.

Man wird aber annehmen dürfen, dass eine psychoanalytisch orientierte Kritik auf einen wesentlich stärkeren Widerstand stoßen wird. Über das Warum braucht in diesem Zusammenhang nicht viel gesagt zu werden. Jeder, der die nachfolgenden Ausführungen lesen wird, kann wahrscheinlich bei sich selber den Schock verspüren, der es einem Christen so schwer macht, sich der Freudschen Religionskritik zu öffnen. Wie soll man mit einer Kritik fertig werden, die den Gottesglauben aufs engste mit der Sexualität in Verbindung bringt? Das verstößt gegen das jahrtausendealte Bemühen der Kirche, den Raum des Heiligen von dieser starken und gefürchteten Triebkraft freizuhalten. Das Dogma der Jungfrauengeburt, die Abwertung der Sexualität durch Paulus und ein von dieser Triebkraft völlig unberührt erscheinendes Jesusbild im Neuen Testament sprechen eine deutliche Sprache. Nur auf indirektem Wege kann die Vermutung Raum gewinnen, dass Jesus selbst diese Triebkraft im Menschen kannte und ihr nicht feindlich gegenüberstand. Sein Eintreten für die Ehebrecherin und für Prostituierte, sein für jüdisches Empfinden skandalös ungezwungener Umgang mit Frauen, in denen er im Gegensatz zu seinem Volke vollwertige Menschen sah, lassen den Schluss zu, dass uns im Neuen Testament ein Bild Jesu überliefert worden ist, das den spätjüdischen Vorstellungen von messianischer Hoheit angepasst war.

Wir können uns heute nicht mehr an der Erkenntnis vorbeidrücken, dass die Sexualität auch auf geistige Bereiche nachhaltig einwirkt. Verdrängungen der Sexualität bleiben nie ohne Folgen. Die unterdrückte Triebkraft| wird nicht etwa geschwächt, sondern wendet sich anderen Zielen zu, guten oder bösen und kann in Gestalt von aggressiven Handlungen wie ein gestauter Fluss verheerende Überschwemmungen anrichten. Die Aggressivität des christlichen Abendlandes gerade such in Glaubensangelegenheiten braucht wohl licht erst unter Beweis gestellt zu werden.

Es dürfte an der Zeit sein, sich der Religionskritik Freuds ernsthaft zu stellen. Sie ist eine Herausforderung, die sich nicht dadurch erledigen lässt, dass man theologische und kirchliche Lehrmeinungen mit psychoanalytischem Wissen anreichert. Auseinandersetzungen auf dieser Ebene finden zwar in kirchlichen Kreisen und such im theologischen Bereich zunehmend Resonanz. Zu fragen ist aber, ob nicht die Probleme, die von der Psychoanalyse her dem christlichen Glauben gestellt werden, in bedenklicher Weise verharmlost werden. Freuds Lehre und kirchliche Lehrmeinung sind mit Sicherheit nicht zu vereinbaren. Im Gegensatz zum christlichen Glauben ist die Tiefenpsychologie heute eine geistige Kraft, die neue Normen menschlichen Handelns zu setzen vermag. Sie wird sich nicht zähmen und "verchristlichen" lassen. indem man sie in den theologischen und kirchlichen Raum einlässt, soweit sie sich dort nicht als Störfaktor erweist. Sie hat Anspruch darauf, in ihrer Ganzheit ernst genommen zu werden.

Gegen den in der Psychoanalyse enthaltenen Atheismus kann sich der christliche Glaube nur als eine geistige Kraft behaupten, die in der Lage ist, licht nur den Glauben, sondern auch psychoanalytisches Wissen und Bereitschaft zur Selbstkritik in die Auseinandersetzung einzubringen.

Ich habe versucht, mich im Folgenden an diese Zielvorstellung zu halten. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Widerstände gegen Untersuchungen dieser Art abgebaut werden könnten. Nicht zuletzt Angst mag bisher eine umfassendere Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse verhindert haben. Psychoanalytische Durchleuchtung christlicher Glaubensformen, so befürchtet man, müsse letztlich darauf hinauslaufen, den Glauben auf die Formel eines rational fassbaren Produktes psychischer Kräfte zu bringen.

Man kann nicht leugnen, dass Freud diesen Versuch gemacht hat, es fragt sich aber, ob ihm diesel Versuch gelang.

In Wirklichkeit ist es in einer therapeutischen Analyse nur möglich, ungelöste Konflikte im psychischen Bereich aufzuzeigen, so dass der von diesel Konflikten beeinträchtigte Patient ihn nun bewusst verarbeiten und, auf solche Weise entlastet, der Mensch werden kann, der er seiner Begabung nach eigentlich sein sollte.

Auf Glauben übertragen kann eine psychoanalytische Untersuchung gefährliche, im Glauben verankerte Tendenzen, wie z. B. die Aggressivität in ihrer Verursachung oder Glaubensillusionen in ihrem Wunschcharakter aufzeigen und so dazu beitragen, dass dieses Pseudo-Glaubensgut an Macht verliert, Unheil zu stiften.

Eigene analytische Erfahrungen haben mir immer wieder gezeigt, dass neurotische Menschen, die sonst dem christlichen Glauben gleichgültig gegenüberstehen, gerade von diesel Fremdkörpern im christlichen Glauben wie mit magnetischer Kraft angezogen werden, um sich so in ihrer neurotischen Haltung eine Bestätigung zu verschaffen.

Zum Schluss noch der Hinweis, dass die vorliegende Arbeit sich nicht eine Auseinandersetzung mit der Theologie zum Ziel gesetzt hat. Die Psychologie-Blindheit der Theologie auch in unseren Tagen lässt ein solches Unternehmen wenig sinnvoll erscheinen. Die Abwertung theologischer Arbeit soll damit nicht zum Ausdruck gebracht werden. Ohne die auf Bultmann zurückgehende Theologie wäre es mir gar nicht möglich gewesen, die folgende Untersuchung in Angriff zu nehmen. Der Theologe Emanuel Hirsch hat mir letztlich den Mut gegeben, den christlichen Glauben der Freudschen Kritik auszusetzen. Denn sein Werk ,,Frühgeschichte des Evangeliums'' zeigte mir, dass eine literar-kritische Analyse in einem neuen theologischen Ansatz mit einer psychoanalytischen Kritik der Evangelien in wesentlichen Punkten übereinstimmt.


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Last update: 31 Mai 2009 | Impressum—Imprint