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Ein paar Bemerkungen zu den Filmen von Rüdiger Neumann

October 19, 2010

Rüdiger Neumann ist vor drei Jahren gestorben. Im Internet gibt es kaum mehr als einen einsamen Nachruf. Auf ein paar Sites kann man eine DVD-Edition seiner Filme kaufen (Archiv der Blicke). Aber fast nichts findet man zu seiner Arbeit - vielleicht, weil sie vor dem Hintergrund (oder hinter dem Vordergrund) der heute dominierenden Art, Filme zu machen, so gänzlich abseitig wirkt. Vorgestern fand ich beim Wühlen im DVD-Kasten von Zardoz am Schulterblatt in Hamburg Neumanns DVD-Edition, verstand das als Zeichen, kaufte, und sah mir die Filme nach über zwanzigjähriger Pause wieder an (die späteren kannte ich noch nicht).

Ich habe 1982-1986 an der HfbK Hamburg bei Neumann Experimentalfilm studiert. Es war nicht einfach. Wie es auch viele andere Studenten erlebt haben, waren seine Reaktionen auf Projektideen nicht besonders einfühlsam oder konstruktiv, oft wegwerfend; so zum Beispiel, als ich einmal ein Projekt lediglich als eine filmische Stimmung beschrieb, die sich anfühlen sollte wie ein fremdes, wildes Daktari. Ein mühsam geschriebenes kurzes Drehbuch, für daß ich kein Geld bekam, nannte er vernichtend einen Schmarren (tatsächlich bin ich heute fast froh, das daraus nichts wurde).

Oft hatte er natürlich in seiner Ablehnung einfach recht. Anfang der Achtziger waren postmoderne Mixturen, ein ironisches und uneigentliches Verhältnis zu Stoffen und Ausdrucksweisen, Subversion und verfremdende Aneignungen in meinem Umfeld die Regel. Prägend waren dafür etwa die Aktionen und Filme von Raskin Stichting oder die frühen Filme des Neumann-Schülers und Raskin-Mitglieds Oliver Hirschbiegel (vor dem Beginn seiner heute präsentierten Filmografie), die mit schweren Zeichen und schrägen Zusammenklängen spielten, in denen etwa ein Kinderchor nicht verstehend Adornotexte aufsagte.

Mit postmodernem Rumprobieren wollte Neumann nichts zu tun haben, selbst wenn er es bei jenen Studenten, die er mochte, offensichtlich durchgehen ließ. Die Experimentalfilme, die wir im Seminar sahen, waren zum großen Teil von einer formalen Strenge, die ein gänzlich anderes Bild (der Welt) erzeugte als das gerichtete Suchen nach der gut komponierten Einstellung, ganz zu schweigen von jenem filmischen Erzählen, welches das Ereignis der Abbildung sofort den Anforderungen eines Plots unterordnet. (Die meisten Filme, die wir sahen, finden sich in der Anthologie Film als Film.)

In Michael Snows La region centrale betrachtete eine flexible Filmmaschine, die sich um alle denkbaren Bildachsen drehen konnte, eine kanadische Gebirgslandschaft; andere Snow-Filme, die wir sahen, gingen aus von auf formalen Elementen, einen immer schneller werdenden Wechsel-Schwenk zwischen zwei Fenstern oder einen sehr langsamen Zoom aus einer Raumtotale auf eine Postkarte. Ein Kurzfilm von Stan Brakhage umkreiste zitternd und springend einen verwesenden Hund in einem Gebüsch. The Flicker von Tony Conrad bestand nur aus dem Wechsel schwarzen und weißen Einzelbildern (vorweg mit einer Warnung für Epileptiker). Dann gab es die schlagend einfachen Warhol-Filme (Kitchen, Kiss, usw). Auch die Hamburger Filmemacher Wyborny und Emigholz waren zu Gast und zeigten ihre Arbeiten.

Zwei Arten von Film

Natürlich gibt es viele verschiedene mögliche Weisen, Film zu ordnen und Haltungen zu klassifizieren. Vielleicht macht es Sinn, zwei grundsätzlich verschiedene Haltungen zum filmischen Bild zu unterscheiden:

  1. Blickt man auf die Welt, um etwas in ihr gestaltend zu erzeugen als Grundlage für ein bewegtes Abbild, eingreifend in der Formung des Bildstoffes selbst, am Set, in den Anweisungen an die Akteure, dann in der Ausrichtung der Kamera und später formend im Schnitt?
  2. Oder überläßt man sich, in der Nachfolge Lumières vielleicht, der Sensation, überhaupt etwas Bewegtes in einem Gerät einfangen zu können: etwas Zartes, Integrales, durch das Einfangen Gerettetes und dadurch kostbar Werdendes? Dazu paßt ein zuvor abstrakt organisierter, intentionsloser Blick (die Zufallsauswahl einer Kameraposition auf einem zufällig ausgewählten Meßtischblatt), der gerade durch die Abwesenheit der ästhetischen Wahl zu einem Eindruck führt, den kein gewollter Ausdruck erzeugen kann.

Zu Neumann paßte diese zweite Haltung. Wobei die Strenge und Organisation der Blicke nach einem strukturellen oder anderen theoretischen Schema, auch wo es sich an einen (etwa literarischen) Stoff anlehnt (Straub /Huillet), nur zu verbürgen scheint, daß nicht ein willkürlicher ästhetischer Impuls die Aufzeichnung verändert. Dies erhält den Bildern und ihrer Wahrnehmung eine Freiheit, verhindert, zumindest scheinbar, daß Weltbilder, Absichten des Autors, oder Plots decodiert werden. Abgetrennt lebendig ist die Ebene der materiellem Umsetzung, den Dreh-Arbeiten, die durch den Film-Plan vorgegeben sind, aber nicht oder kaum mit dem Produkt interagieren. Dies ist ein Echo der Trennung vom Handwerk, die wir aus den fremderstellten Objekten der Minimal Art kennen.

Die erste Haltung braucht die Interaktion zwischen dem sichtbaren Ergebnis des Kamera-Auges (den Rushes oder dem Re-Play) und der Imagination der Montage im Kopf, die sich rekursiv gestaltend an dem nun Wirklich-Gemachten abarbeitet, es auch selbst weiter verändert. Wer kommt von wo ins Bild, spricht was wie, wie stelle ich das Licht, plane den Zusammenhang mit der nächsten Einstellung? Dies auch, wie bei Bresson, bei bewusst reduzierten Verfahren, in seiner Reaktion auf das Modell, den automatischen Nicht-Schauspieler. Der Regisseur sieht die 12. oder 25. Wiederholung einer Einstellung und erkennt auf einmal irgend etwas, was ihm neu ist, auf das er scheinbar gewartet hat, ohne es zuvor zu kennen.

Willkür und Wunschlosigkeit

Der Impuls gegen diese gestaltende Wahl entspringt vielleicht dem Unwillen, etwas begrenztes (und notwendig abgewandeltes, enttäuschendes) Eigenes zu produzieren und dafür allein die volle Verantwortung tragen zu müssen. Ich denke an eine Angst vor einer rekursiven unabschätzbaren Dynamik und den Wunsch, sich stattdessen besser in einer kalten und klaren Wunschlosigkeit zu bewegen. Aber das ist allein meine Vorstellung und durch nichts verbürgt.

Es ist auch die ziemlich agressive Negation der bloßen Möglichkeit einer Gestaltung nach ästhetischen oder politischen Vorlieben und Idiosynkrasien. Die erschreckend freie Wahl, etwa in der Schaffung einer möglichst komplexen gestaffelten Raumtiefe und Situation, die durch Kamerastandpunkt, Neigung, Licht, Sätze und Handlungen der Akteure filmischen Konventionen entgegenläuft (so bei Emigholz) scheint eine Rechtfertigung zu fordern (auf das Genie mag sich niemand mehr herausreden) - oder man muss sich ihrer von vorneherein entschlagen.

Auf der anderen Seite die Anlehnung an nicht-subjektive Parameter oder Konstanten, an technische Protokolle, manchmal auch nur in einem Detail der Produktion; so die mutwillige, anti-ästhetische Anweisung an den Kameramann, die Bildmitte immer genau auf die Nase des Schauspielers auszurichten (Godard).

In den frühen Filmen von Neumann wird diese Rolle der Objektivität total: fast alles scheint vorherbestimmt durch die Regeln für die beliebige, zufällige Auswahl des Kamerastandortes, der Regeln für die Komposition des Rund-um-Blicks in einzelnen, kurzen, ruppigen Einstellungen. Die Arbeitsanweisung, die etwa dem Film Zufallshorizonte zugrunde legt, könnte heute, dreißig Jahre späte, noch einmal ausgeführt werden; ein sehr ähnlicher Film würde entstehen, der hauptsächlich durch die neueren Autos und Bauwerke sich von dem ersten unterschiede. Ich glaube, das Gesamtbild von Deutschland (außen), das entstünde, wäre kaum anders. (Ein ähnliches Konzept für eine filmische Enzyklopädie der Innenräume würde sicher stärkere Unterschiede zutage fördern.)

Persönliches?

In den späteren Filmen gibt es manchmal auch Bilder, die menschliche Beziehungen der einsamen Bilderjäger sparsam metaphorisch anzudeuten scheinen: zwei Bäume reiben sich leise knarzend aneinander, es kreuzen sich zwei Schiffstaue in einem dänischen Hafen. Ist es hineingeheimnisst, oder geheimnisse ich es hinein? Das bleibt unentschieden.

Dann gibt es etwa in Meridian gelegentliche Kamerafahrten mit Musik oder Nachrichten (Nato Nachrüstungsbeschluss), aus dem VW-Bus herausgefilmt, ohne dass man Fahrer oder Beifahrer je zu Gesicht bekommt. Am Ende von Nordlicht sieht man, wie auf einem Winograd-Foto, den Schatten des Kopfes des Kameramannes auf dem Schnee.

Last update: 19 October 2010 | Impreßum—Imprint